Unsere Exkursion zum Hof „Stolze Kuh“
Ein Beitrag von Lorenzo Rutar / AG Inhaltliches
Am 27.6 sind wir auf den ökologischen Bauernhof „Stolze Kuh“ in Lunow-Stolzenhagen gefahren, um mit Janusz Hradetzky, dem betreibenden Landwirt, über die Rolle der EU in seiner Arbeit zu sprechen. Für uns ist es wichtig, nicht nur die von der EU veröffentlichten Papiere und Statistiken zu kennen oder von Politiker:innen und Expert:innen zu hören, wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU wirken soll, sondern auch zu verstehen, wie diese Politik bei den Menschen ankommt, für die sie gemacht wird. Und wen soll die GAP unterstützen, wenn nicht Janusz, der auf seinem Hof rund 40 Tiere von alten, robusten Rinderarten hält? Wo, wenn nicht auf diesem Hof (der mit Hilfe der Genossenschaft „Kulturland“ gegründet wurde und auf dem die Rinder fast das ganze Jahr auf der Weide gehalten, die Kälber nicht von ihren Müttern getrennt werden und jede Kuh artgerecht aufwachsen kann) wird die Zukunft der Europäischen Landwirtschaft gelebt?
Um nicht vollkommen ahnungslos auf diesem Hof anzukommen, haben wir uns in der AG Inhaltliches und Events im Vorhinein mit der GAP beschäftigt. Frei nach dem Motto „Wer viel weiß, kann mehr lernen“ haben wir uns die Geschichte, die Erfolge und die Entwicklung der Europäischen Agrarpolitik angeschaut und intensiv besprochen. Schon mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vor-Vorgängerin der EU, wurde die Gemeinsame Agrarpolitik als zentraler Pfeiler etabliert. Damals ging es darum, die Lebensmittelversorgung nach dem Zweiten Weltkrieg sicherzustellen und beim Wiederaufbau zu unterstützen. Um die Produktion anzukurbeln, wurden Zollmauern um den Binnenmarkt des nun „Europäische Gemeinschaft“ heißenden Konstrukts gezogen und Mindestpreisgarantien sowie Subventionen für modernes Gerät versprochen. Das funktionierte sogar etwas zu gut und führte in den 1980er Jahren zu starker Überproduktion. Dieser Überschuss wurde durch marktformende Mittel abgebaut, wie beispielsweise die „Weihnachtsbutter“-Aktion in Deutschland, die den Preis für 250g Butter unter 2 DM drückte. Wirklich gelöst wurde dieses Problem allerdings erst 2007 durch erhöhte Nachfrage.
Diese und andere Erfahrungen formen die GAP heute. Zur Veranschaulichung wird diese Politik gerne in zwei Säulen dargestellt. Die erste bezieht sich auf Direktzahlungen und ihre Voraussetzungen. So bekommen Landwirt:innen Geld pro Hektar Land, das sie bewirtschaften, für die Pflege von Muttertieren oder auch für eine abwechselnde Fruchtfolge. Zudem gibt es eine Jungbauernprämie, die den Nachwuchs in der Landwirtschaft sichern soll. Dabei müssen die Höfe grundsätzlich die sogenannten GLÖZ-Standards (Guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand von Flächen) einhalten, werden aber auch für das Einhalten anderer, freiwilliger Regelungen belohnt.
Die zweite Säule umfasst die generelle Entwicklung in ländlichen Regionen. Es ist ein Umverteilungsinstrument, das Investitionen in Digitalisierung, Kultur und die Modernisierung von Dörfern und landwirtschaftlichen Betrieben ermöglicht. Für unsere Exkursion war allerdings die erste Säule interessanter. Nachdem wir uns mit der Agrarpolitik beschäftig hatten, war unsere Einstellung dazu, dass sie genau für Menschen wie Janusz geschrieben wurde und mehr Landwirt:innen dazu motivieren sollte, ihren Hof wie seinen zu führen.
Als wir gegen zwei auf dem Hof der Stolzen Kuh ankamen, wurden wir von zwei polnischen Gastarbeitern begrüßt, die sich gerade etwas zu essen machten. Kurze Zeit später kam auch Janusz dazu und wir setzten uns zusammen in sein Büro. Es war ein kleiner Raum: an der einen Wand stand ein Sofa, an der gegenüberliegenden ein mit Ordnern bestücktes Regal. Janusz setzte sich uns gegenüber, bereit für unsere naiven Fragen. Das Erste, was uns ziemlich schnell klar wurde, war die Menge an Bürokratie, mit der die Subventionen der EU verbunden sind. Dies war zwar zu erwarten, aber als Janusz uns dann von seiner Käserei erzählte (die er schließen musste, weil sie sich nur mit Subventionen rentiert hätte, deren Beschaffungsaufwand zu hoch gewesen war), formte sich langsam ein neues Bild dieser „Einkommensunterstützung“ – wie die EU es nennt.
Die Nachweispflichten sind ein gutes Kontrollinstrument, um eine nachhaltige und gerechte Entwicklung in der Landwirtschaft sicherzustellen, aber Janusz erzählte uns von Besuchen der EU-Kontrolleur:innen, auf die er sich mit zwei Wochen Überstunden vorbereiten muss, damit auch ja kein Dokument fehlt oder irgendetwas falsch ausgefüllt ist. Er plädierte für häufigere Kontrollen durch lokale „EU-Büros“, die eine engere Bindung zu den Menschen vor Ort und dem Land hätten. So könne pragmatischer und kosteneffizienter kontrolliert werden und der Prozess wäre mit weniger Aufwand für den Landwirt verbunden.
Zum Thema Wirtschaftlichkeit seines Hofes musste Janusz feststellen, dass diese nur mit den vielen Direktzahlungen der EU möglich ist und sein Hof ohne Subventionen gar nicht denkbar wäre. Er schlug vor, dass Politiker:innen weniger Angst vor hohen Lebensmittelpreisen haben sollten und die Produkte der Landwirtschaft zu vernünftigen Preisen gekauft werden müssen. In der Landwirtschaft als einer der einzigen Branchen ist es erlaubt, Erzeugnisse unter den Erzeugungskosten zu verkaufen, wodurch ökologische Betriebe immer abhängiger von Subventionen werden. Um die lokale Landwirtschaft zu schützen, schlägt Janusz höhere Einfuhrzölle vor, so dass sich bspw. die Einfuhr von Rind aus Argentinien im Vergleich zu lokal gehaltenen Tieren nicht rentieren würde.
Nach gut anderthalb Stunden Einführung in die landwirtschaftliche Betriebswirtschaft ging es dann auf die Weide auf der anderen Straßenseite. Mit Wind in den Haaren und zwischen knapp 20 der Kühe, erzählte Janusz uns von seinen Schlachtpraktiken. Alle zwei Wochen wird ein Tier auf der Weide geschossen und vom Metzger im nächsten Ort zerlegt. Dann wird das Tier über ein Netzwerk von Käufern oder online verkauft. Auch hier, auf seiner Weide, hatte Janusz viele Ideen, wie die EU seine Arbeit und die Arbeit Gleichgesinnter noch besser fördern könnte.
Wenn ich allerdings „seine Weide“ schreibe, ist das irreführend. Denn durch einen Pachtvertrag ist das Land zwar in seinem Besitz und er hat das Recht, es zu bewirtschaften, es ist jedoch nicht sein Eigentum. Janusz findet, dass diejenigen, die sich um das Land und die Tiere kümmern, auch in vollem Besitz dieses Bodens sein sollten.
Nach dem Anschluss der DDR an die BRD wurden rund 80.000 Hektar privatisiert. Beispielsweise besitzt die landwirtschaftliche Unternehmensgruppe ODEGA rund 18.255 Hektar und erhielt deswegen 4.816.431,99 € Subventionen der EU. Janusz und andere Landwirte der Genossenschaft „Kulturland“ haben in der Gegend des Unteren Odertals 70 Hektar gepachtet, um dort den Hof Stolze Kuh zu gründen. Janusz ist der Auffassung, dass vor allem die Direktzahlung der EU für Hektarfläche dazu einlädt, möglichst große Flächen zu besitzen, was laut Janusz unweigerlich zu einer Entfremdung der Bauern und Bäuerinnen von ihrem Land führt. Nach seiner Auffassung müsste die EU-Politik stattdessen eine Umkehrung des Strukturwandels forcieren. Dafür muss mehr Land in die Hände kleiner, familienbetriebener Höfe, um die Verbindung zwischen Mensch und Natur zu fördern und Tierliebe zu belohnen. Dabei verwies Janusz auf die Agrarpolitik der Schweiz. Dort schaffen es laut ihm auch kleine Betriebe ohne große Unterstützung zu überleben.
Alles in allem war Janusz schon zufrieden mit den Initiativen der Europäischen Union zur Unterstützung des ländlichen Raumes. Vor allem die zweite Säule der GAP wusste er sehr zu schätzen, da diese maßgeblich die Infrastruktur modernisiert und den Lebensstandard auf dem Land anhebt. Aber die direkte Hilfe für Landwirte hält er für unpraktisch, profitorientiert und getrieben von der Angst vor zu hohen Lebensmittelpreisen. Außerdem ist eine Landrechtreform dringend notwendig. Für die Natur, die Tiere, die in ihr leben und die Menschen, die sich um sie kümmern.
Wir danken Janusz Hradetzky, dass wir seinen Hof besuchen durften und er sich die Zeit genommen hat, uns zu zeigen, worauf es in der Landwirtschaft wirklich ankommt.